Unverständliche Geschwindigkeitsbegrenzungen zwischen zwei Kreuzungen bei Kisdorf
Kisdorf. Nur rund 20 Meter von seiner Terrasse entfernt brausen gegen Mittag geräuschvoll Autos und Brummis über die Landstraße 233. Genau dort, wo die Straße an der Kisdorfer Wohnsiedlung am Vojensring vorbeiführt, sind 100 Km/h erlaubt. „Das ist ja noch die ruhige Zeit“, sagt der 85-jährige Werner Kallinich: „Zum Feierabendverkehr wird es hier richtig laut.“
Seit 2012 kämpfen Kallinich und seine Nachbarn mit ihrer gegründeten Bürgerinitiative „Lärm macht krank“ gegen den Verkehrslärm an. Sie fordern Tempo 50 auf dem Teil der Straße, der an ihren Häusern vorbeiführt. Doch die Landesstraße 233 / Ulzburger Straße zwischen der so genannten „Wessel-Kreuzung“ und der „Gutenberg-Kreuzung“ hat sich mit den Jahren zu einer wichtigen und viel befahrenen Verkehrsachse entwickelt. „Drei Millionen Fahrzeuge fahren hier jährlich lang“, sagt Werner Kreibich, Betroffener aus der zweiten Reihe: „Laut Verkehrsaufsicht soll hier der Fahrfluss nicht unterbrochen werden.“
Jetzt gab es aber doch eine Veränderung: Seit März sind auf Teilen der Strecke nur noch 70 Km/h erlaubt. Hauptsächlich aber im Mittelteil der Straße in einer Kurve. Ausgerechnet auf dem Abschnitt, der am Wohngebiet vorbeiführt, bleibt es bei Tempo 100. Fährt man also an der Wessel-Kreuzung los Richtung Henstedt-Ulzburg gilt nach dem Ortsausgangsschild für etwa 200 Meter Tempo 100 (am Wohngebiet), dann beginnt Tempo 70, dann wieder 100, dann wieder 70 und 200 Meter vor der Gutenberg-Kreuzung Tempo 50.
Ein Schilder-Wirrwarr, der bei den Anwohnern nur für Kopfschütteln sorgt. „Dort, wo nur 70 erlaubt sind, stehen keine Wohnhäuser, und wo welche stehen, bliebt es bei 100“, wundert sich Werner Kreibich: „Wir vermuten da Mutwillen seitens der Verkehrsaufsicht. Wir haben die ja so oft geärgert mit unseren Schreiben und Forderungen. Die reagieren auf uns schon allergisch.“
Die Bürgerinitiative hat im Lauf der letzten Jahre Lärmgutachten erstellt, die eindeutig zeigen, dass der Schallpegel in Spitzenzeiten weit über der erlaubten Grenze liegt, auch nachts, wenn die Lkw dort fahren. „Und dieser Lärm ist ganz klar gesundheitsgefährdend“, sagt Kreibich: „Allerdings errechnet die Verkehrsaufsicht nur einen Durchschnittswert, und der ist noch im Rahmen des Erlaubten.“ Hier gebe es gesetzlich einen Ermessensspielraum. „Den wollen die Behörden aber nicht nutzen, weil dann ja jeder kommen könnte. Das wurde uns bei einer Bürgerversammlung auch genau so gesagt.“
Es gibt noch andere Argumente seitens der Verkehrsaufsicht: „Die Grundstücke haben keine Zuwegung zur Straße und die Straße befindet sich außerhalb der Ortschaft“, nennt Kreibich diese. Außerdem sei das Unfallgeschehen auf dieser Strecke minimal. Am erstaunlichsten fanden die Anwohner dieses Argument: „Was nützt es, wenn Schilder aufgestellt werden und die Verkehrsteilnehmer sich nicht daran halten.“ Ein Totschlagargument in den Augen Kreibichs und Kallinichs. Auch den Verkehrsminister in Kiel haben sie angeschrieben. „Aber der steht zur Verkehrsaufsicht des Kreises und will sich da nicht einmischen“, sagt Kreibich.
Die Kisdorfer haben jetzt genug. Ihre Schreiben und Forderungen für ein Tempolimit stoßen seit Jahren auf taube Ohren. „Wenn sich in den nächsten drei Monaten nichts ändert, ziehen wir in Erwägung, zu klagen. Wegen Unterlassung der Fürsorgepflicht bei gesundheitlicher Belastung“, sagt Kallinich: „Warum ist es so wichtig, Tempo 100 zwischen zwei Kreuzungen nicht aufzuheben? Die Autos müssen an den Ampeln doch sowieso halten“, fragt sich Kallinich nicht zum ersten Mal. „Diese Verkehrssituation ist im Umfeld einmalig. Nirgendwo sonst in der Umgebung fahren Autos mit 100 an einer Wohnsiedlung vorbei“, ergänzt Kreibich: „Die Verkehrsaufsicht argumentiert nicht sachlich sondern formalistisch.“ Für die Anwohner steht fest: Aufgeben ist keine Lösung. Zur Not geht’s vors Gericht.
Quellenangabe: Segeberger Zeitung vom 13.06.2022, Seite 24
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